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Christiane Bassyouni
Mai 2005

Wie konnte es zum Faschismus kommen? Wie entsteht „Rechtsradikalismus“?

Und was hat beides mit „Machtmissbrauch und Gehorsamszwang“ zu tun?

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IST DAS NOCH DEMOKRATIE ? August 2008

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Zitate:


„Jede Untat, an einem Menschen verübt, geht gegen die Logik des menschlichen Zusammenlebens und ruft Erschütterungen wach, die sich in unheimlicher, meist unverstandener Weise auswirken. Hier ist es ein lieblos behandeltes, von seiner Umgebung brutal umhergestoßenes Kind, das niemand zur Mitarbeit und Menschlichkeit gewonnen hat. Es wächst zur Rache an der Gesellschaft heran.


Alfred Adler (aus: Psychotherapie und Erziehung, 1982, S. 59) 

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Im Dritten Reich ging die Unterdrückung des (schwachen) Feindes bis zu seiner legalisierten Destruktion!
Dementsprechend hier Hitlers Idealbild der Jugend, das er verwirklichen wollte:

"Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muss weggehämmert werden. In meinen Ordensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der sich die Welt erschrecken wird. Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene, grausame Jugend will ich. Jugend muss das alles sein. Schmerzen muss sie ertragen. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein ..."

(zit. n. A. Miller, 1980, S. 169)

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Die Angst vor erneuter Entmachtung aber bleibt.
 Die Todesangst vor der Unterlegenheit im archaischen Macht/Ohnmacht-Gefälle schwelt im Unbewussten einer solchen mit den Insignien der Macht ausgestatteten Persönlichkeit weiter (denken wir auch an die Militärs unter Preußens Gloria), die den Krieg sucht im Bedürfnis nach endlicher Entscheidung. 

                                                              
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Alice Miller
(1980) schreibt in diesem Zusammenhang über die Kindheit Adolf Hitlers: 

„Auch für ihn gilt, dass er im Juden das hilflose Kind, das er selbst einst gewesen ist, in der gleichen Art misshandelt, wie sein Vater ihn. Und wie der Vater nie genug hatte und jeden Tag neu prügelte und ihn mit 11 Jahren fast zu Tode schlug, so hatte auch Adolf Hitler nie genug und schrieb in seinem Testament, nachdem er sechs Millionen Juden hatte töten lassen, es müssten noch die Reste des Judentums ausgerottet werden.“ (S. 221) 

Und wir beginnen zu begreifen, was der absolute Gehorsam mit dem Militarismus, mit der Unmenschlichkeit z.B. des Hitlerregimes zu tun hat – und welche Methoden zwischenmenschlichen Umgangs seine Entwicklung begründen.

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Platon über die Erziehung der Kinder bis zum 3. Lebensjahr:

"So spreche ich denn die bei uns wenigstens herrschende Meinung aus, dass ...
eine zu strenge und harte Unterwerfung sie durch Erzeugung einer niedrigen, unfreien und menschenfeindlichen Gesinnung für das Zusammenleben untauglich mache."

(NOMOI, 791 d 6 - e)

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Die Autoritätsausübung (der Eltern) nach dem "altbewährten" Erziehungsmodell der <Gewaltanwendung zum Zweck des Erlernens von Unterordnung und Gehorsam> ist in unserem Lande überwiegend noch unbestritten.
Es bestehen aber direkte Zusammenhänge zwischen der autoritären Erziehung, dem Militarismus, dem Machthunger, dem Wahnsinn des Krieges, wie beispielsweise im Dritten Reich.
Es wird notwendig, dass wir uns dessen bewusst werden!

Wir sind aber zum Still-Halten und Still-Schweigen erzogen worden:
Auch wenn wir offensichtliches Unrecht mit ansehen und miterleben - und sei es gegen uns selbst! - so heißt es nach dem Gehorsam fordernden Erziehungsmotto: "Nur nichts beanstanden..." ("Ruhe ist die erste Bürgerpflicht".)

Und doch: wir  können hoffen. Es sind Bewusstseinsprozesse im Gange, die das allgemeine Verhängnis von Misshandlung und Hass aufdecken. Und das mutige, versöhnliche Vorgehen von Politikern der Gegenwart, besonders auf allerhöchster Ebene, im <Mut zur Veränderung>, ist bereits das Resultat eines Erkenntnisprozesses, nämlich des Bewusstseins, dass der Abbau von Feindbildern und Waffenarsenalen <mehr Leben verspricht> als das <konservative Fronten-Konzept> und die Aufrüstung.

Ein konstruktives, Leben bejahendes therapeutisches - und woran wir arbeiten: zwischenmenschliches - Vorgehen zur Überwindung unseres Aggressionspotentials ist das Ergebnis dieser Bewusstwerdungsprozesse.

So sagt THEA BAURIEDL, (1984):
"Feindbilder und Kriege sind für mich nicht Ausdruck eines durchbrechenden und Befriedigung suchenden Todestriebes, sondern Formen von zwischenmenschlicher Verklammerung und Vergewaltigung. Sie sind prinzipiell auflösbar, soweit die Annäherung an den "Feind" und die gleichzeitige Auflösung von Loyalitätsverpflichtungen gegenüber dem "Freund" gewagt werden können." (S. 13)

Entscheidend wird sein, dass wir begreifen, in welcher unausweichlich engen Beziehung das gesamte Verhaltsspektrum des Erwachsenen zu seinen Erfahrungen mit den Eltern steht, mit den prägenden Bezugspersonen seiner Kindheit!


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"Die menschliche Entwicklung bietet zwei Möglichkeiten, die der Liebe und die der Macht. Der Weg der Macht, der den meisten Kulturen zugrunde liegt, führt zu einem Selbst, das die Ideologie des Herrschens widerspiegelt.
Es ist ein Selbst, das auf einem Gespaltensein beruht, nämlich jener Abspaltung im Selbst, welche Leiden und Hilflosigkeit als eigentliche Schwäche ablehnt und Macht und Herrschaft als Mittel, Hilflosigkeit zu verneinen, in der Vordergrund stellt."

Arno Gruen (Aus: Der Verrat am Selbst, 1984, S. 14)

                                                             
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Wenn wir - im Dialog mit anderen - erkennen, was uns unfriedlich, feindselig und kriegerisch werden lässt, haben wir die Möglichkeit, unsere Einstellung zu uns selbst und zu anderen zu verändern.

"Es braucht kein "Triebverzicht" und keine "Sublimierung" des "Todestriebes" angestrebt zu werden, wenn man die lebensgeschichtlichen Wurzeln einer aggressiven oder gar destruktiven Handlung verstanden hat, weil sich dann die psychischen Energien von selbst in Kreativität umwandeln, vorausgesetzt, dass keine erzieherischen Maßnahmen angewendet wurden", sagte Alice Miller (1980, S. 310)

                                                                
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Wenn ich erkenne, warum ich hasse und meine, zerstören zu müssen, kann mir bewusst werden, dass ich heute nicht mehr in dieser Befeindung und tödlichen Bedrohung leben muss wie früher, als ich das ausgelieferte Kind war in einer Welt machtidentifizierter Erwachsener.
Das ist unsere Chance, in einem Frieden zu überleben, der nicht der Frieden der Friedhofsruhe ist, der von "oben" angeordnet durch Maschinengewehre gesichert wird, oder der Frieden des "kalten Krieges", der bei stetig anwachsendem Zerstörungspotential einem Vulkan kurz vor dem Ausbruch gleicht.
Ich kann erkennen, dass ich mit meiner kriegerischen Haltung das furchtbare Unrecht, das ich erlitten habe, ständig auf andere übertrage, es in ihnen verstärke, ihren Hass und ihre eigene Zerstörungsbereitschaft damit potenziere. Ich kann erkennen, dass ich so dazu beitrage, mir selbst und den anderen die Hölle zu erhalten, der wir in einer grausamen Kindheit ausgeliefert waren.

Dass Krieg und Terrorismus aus der ständig wiederholten Kriegs- und Terrorsituation unserer hilflosen ersten Lebensjahre stammen, kann uns immer mehr bewusst werden.

Hier hat sich die in der Natur des menschlichen Wesens liegende Bestimmung zur Bewusstheit ... stärker erwiesen ... Damit wurde ihm allerdings ein Kreuz auferlegt, nämlich die Qual der Bewusstheit, der moralische Konflikt und die Ungewissheit des eigenen Denkens. Diese Aufgabe ist so unerhört schwer, dass, wenn ihre Lösung überhaupt jemals gelingen soll, sie nur in säkulären Stufen erreicht werden kann, erkauft durch endlose Leiden und Mühen im Kampf mit all den Mächten, die uns stets zu dem anscheinend leichteren Wege der Unbewusstheit überreden wollen.

               Carl Gustav Jung
               (1951, neu hrsg. 1972. S. 101)

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Zwischen Zwang und Verweigerung - zwischen Macht und Mitgefühl

Die psychische Entwicklung der vaterlosen Generation nach dem Krieg

Erstmalig in dieser spektakulären Eindeutigkeit wird hier ausgelebt, was früher in der erzwungenen Anpassung an machtvolle Vorbilder innerpsychisch verborgen blieb. Die Generation der "68er" offenbart in ihrem schweren subjektiven Leiden, ihren Beziehungsschwierigkeiten mit den Symptomen der Verunsicherung und Selbstbestrafung, in der Sehnsucht nach Freiheit von Zwang und Unmündigkeit -
den elementaren Kampf des Unterdrückten um Autonomie, den gebliebenen Konflikt zwischen Macht und Ohnmacht der frühen Lebensjahre.

Die psychische Entwicklung der Nachkriegsgeneration ist- im Gegensatz zu allen früheren Generationen - überwiegend durch die ungelungene oder fehlende Identifikation mit einem "gesunden" <machtvollen Vatervorbild> geprägt und zeigt als auffallende Veränderung gegenüber der Entwicklung in früheren Generationen bei den Söhnen die Ablehnung von Machtpositionen.
Das Revolutionäre an dieser Entwicklung ist die "Sehnsucht nach Freiheit" im "Kampf gegen den Zwang", in einer Haltung der Nicht-Anpassung, der Verneinung, der Abgrenzung, in der Suche nach glaubwürdigen Vorbildern und nach neuen zwanglosen Formen des Zusammenlebens;

mit den psychischen Symptomen einer permanenten tiefen Verunsicherung, mit Selbstzweifeln, Ängsten, <Zuständen von Verlassenheit, Vereinsamung und Verzweiflung - im Gefühl schwerer Schuld> - und mit den physischen Symptomen von (vegetativer) Schwäche im Sinne eines autoaggressiven Phänomens:
Die zerstörerischen Impulse aus dem verinnerlichten Kampf des Kindes gegen seinen entmachtenden, seine Lebenskraft schwächenden Erzieher werden gegen das eigene Selbst / den eigenen Körper gerichtet.

Diese Krankheitserscheinungen sind Ausdruck des gebliebenen inneren Kampfes um Individuation, um Lösung aus der Ohnmacht und Abhängigkeit in der Beziehung zu einem Mächtigen, der die Loslösung und Entwicklung zu einem gleichwertigen Du nicht zugelassen hat.

Die psychische Entwicklung der Nachkriegsgeneration ist gekennzeichnet durch ein gebrochenes Verhältnis zur Macht und ist - im Gegensatz zur Neurose des autoritären Charakters, zur analen Charakterneurose früherer Generationen - eine Symptomneurose ("Psychoneurose/Organneurose"), die ein subjektiv erlebtes Leiden durch den inneren Konflikt zwischen Macht und Ohnmacht bedeutet!
Der an einer Symptomneurose Leidende spürt und ist sich bewusst, dass an seinen Gefühlen oder Verhaltensweisen etwas nicht stimmt, er z.B. Ängste hat, die irreal sind, er in bestimmten Situationen anders handelt als er will: dass er zu allem "ja" sagt, was andere von ihm verlangen, oder verstummt, wenn er sprechen soll, oder sich unfähig fühlt, wenn er durch eine Leistung gefallen möchte und anderes mehr.
Ein Charakteristikum dieser <modernen Neurose> ist die - früher "undenkbar" gewesene - Freizügigkeit in der Haltung zur Sexualität mit dem Symptom des häufigen Partnerwechsels. Dem liegt eine extreme Verunsicherung in der Rollenidentität des eignen Geschlechts zugrunde, der Rolle des Mannes/der Frau, der Rolle des Vater/der Mutter - mit Vermeidung und Ablehnung von Nachkommen, in der Angst vor Bindung, die als "einengende Verantwortung" und Überforderung gefürchtet wird:
Das aktuelle Leid der Neurose der Trennung und Scheidung.

Man kann nicht zu einem wirklichen Frieden gelangen, wenn man seine Handlungsweise nach der Möglichkeit eines künftigen Konfliktes einrichtet  - besonders da immer klarer wird, dass ein solcher kriegerischer Konflikt allgemeine Vernichtung bedeuten würde. Der leitende Gedanke allen politischen Handelns müsste deshalb sein: Was können wir tun, um ein friedliches, im Rahmen des Möglichen befriedigendes Zusammenleben der Nationen herbeizuführen? Erstes Problem ist die Beseitigung der gegenseitigen Furcht und des gegenseitigen Misstrauens ...

                         Albert Einstein (1934, neu hrsg. 1984, S. 78)


                                                         
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Die Konsequenzen HEUTE

Der Wille zum Frieden- was steht ihm entgegen?


Wenn wir davon ausgehen, dass wir alle, die wir der Erziehung zum Gehorsam ausgesetzt waren, in unterschiedlichem Ausmaß mit der entmachtenden Instanz unserer Kindheit identifiziert sind, so wird nachvollziehbar, weshalb es bisher so verhängnisvoll schwierig gewesen ist, die Bedeutung des inneren Feindes - des internalisierten, früh erlebten Aggressors - für Feindschaft, Machtkampf, Zerstörung und Krieg zu realisieren.

Die psychische Entwicklung der Nachkriegsgeneration mit ihrer Ablehnung von Machtpositionen und ihrem elementaren Ringen um Autonomie ermöglicht es wegen ihres regressiven Charakters erstmalig, die spektakulären, früher als vorbildlich verkannten Fehlhaltungen und Schädigungen offenkundig werden zu lassen, die aus dem gewaltsam entmachtenden Erziehungsstil früherer Generationen resultierten.

Es wird zunehmend erkannt und bewusst, dass für unsere unbewusst motivierte gefühlsarme, menschenverachtende und destruktive Grundhaltung ein archaisches, frühes Erfahrungsmuster tödlicher Bedrohung verantwortlich ist, mit alarmierendem Einfluss auf unser bewusstes Handeln.

Es ist unsere Chance zu erkennen, was zu verändern ist - in der Behandlung der Kleinkinder ebenso wie im täglichen Umgang miteinander.

"Wer dieses Buch liest und sehen kann, dass die hier beschriebenen Kinder später selber Erwachsene waren, der wird sich auch über die schlimmsten Greueltaten unserer Geschichte nicht mehr wundern. Er wird die Stellen entdecken, an denen Grausamkeit gesät wurde und dank dieser Entdeckung Hoffnung schöpfen, dass die Menschheit diesen Grausamkeiten nicht für immer ausgeliefert bleiben muss, weil wir durch das Aufdecken der unbewussten Spielregeln der Macht und der Methoden ihrer Legitimierung tatsächlich in der Lage sind, grundsätzlich etwas zu verändern."

Alice Miller über "Hört ihr die Kinder weinen" von LLOYD DeMAUSE (Aus: Am Anfang war Erziehung, 1980, S. 80)


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Die dem Menschen gerecht werdende Alternative zu "Erziehung zum Gehorsam" ist die der <Unterstützung>, von LLOYD DeMAUSE als der menschlich richtige Umgang mit Kindern beschrieben:

Die Beziehungsform Unterstützung beruht auf der Auffassung, dass das Kind besser als seine Eltern weiß, was es in jedem Stadium seines Lebens braucht. Sie bezieht beide Eltern in das Leben des Kindes ein; die Eltern versuchen, sich in die sich erweiternden und besonderen Bedürfnisse des Kindes einzufühlen und sie zu erfüllen. Bei dieser Beziehungsform fehlt jeglicher Versuch der Disziplinierung oder der Formung von "Gewohnheiten". Die Kinder werden weder geschlagen noch gescholten, und man entschuldigt sich bei ihnen, wenn sie einmal unter großem Stress angeschrieen werden. Diese Form verlangt von beiden Eltern ... Zeit, Energie und Diskussionsbereitschaft, insbesondere während der ersten sechs Jahre ..."(1977, S. 84 f.)

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Dieser Einsatz an Geduld und Zuwendung aber wird vollauf belohnt, weil die Eltern ein entsprechendes Echo erfahren: weil sie die Lebensfreude und Lebendigkeit, das Glücksgefühl freier Selbstentfaltung und die Liebe ihrer Kinder als Erwiderung erleben.

Etwa seit 1950 versuchen immer mehr Eltern, ihre Kinder auf diese Weise zu unterstützen, damit sie zu autonomen, fühlenden, lebensbejahenden und friedfertigen Menschen werden können.

"Nicht den Dingen, den Menschen muss ich ihren Lauf lassen, und zwar von der Wiege an. Dann braucht der Mensch die Freiheit, die mit ihm geboren ist, nicht zu suchen, weil er sie nie verliert",

schreibt HELMUT OSTERMEYER  in: "Die Revolution der Vernunft"
(1984, S. 196)

"Den Menschen ihren Lauf lassen", das hieße gegenseitige Rücksichtnahme, Nachsicht und Geduld zu üben - auch mit dem ganz Andersartigen, dem Fremdartigen (der als "nicht angepasst" so leicht Ablehnung erfährt), und sich immer von neuem um Toleranz und Verstehen zu bemühen.
Das heißt aber nicht, zu verkehrten oder lieblosen Verhaltensweisen zu schweigen.

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"Autonomie ist derjenige Zustand der Integration, in dem ein Mensch in voller Übereinstimmung mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen ist.
... In dem Grad, in dem der gesellschaftliche Sozialisierungsprozess aber Autonomie blockiert, wird dieser Prozess selbst Erzeuger des Bösen, das er zu verhindern sucht."

ARNO GRUEN
(Aus: Der Verrat am Selbst, 1984, S. 14/10)

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Treue? - Zuverlässigkeit? - Zusammenleben?

Wenn wir aus der Sicht des Kindes, das aus der Sexualität - als Ausdruck innigster körperlicher Nähe seiner Eltern (!) - entstanden ist, auf diese Eltern schauen, so wird klar, wie sehnlich wir uns als Kind die treue Dauerbindung unserer sich (und uns!) - entstanden ist, auf diese Eltern schauen, so wird klar, wie sehnlich wir uns als Kind die treue Dauerbindung unserer sich (und uns!) liebenden Eltern wünschen, um in unserer seelischen Ungeschütztheit eine Heimat bei ihnen zu finden bis zum Abschluss der Pubertät, bis wir uns selbst eine Heimat mit anderen Menschen suchen können.
Wir brauchen unsere Eltern, um in ihnen glaubwürdige, ohne Unterwerfung und Gefühlsverlust nachahmenswerte Vorbilder zu haben - als Menschen und als Mann und Frau!
Eine <seelische Heimat> zu haben bei den Eltern, dazu gehört Geborgenheit: nämlich die gute Erfahrung, geliebt zu werden - ohne Selbstaufgabe - auch als ein ganz andersgeartetes, individuelles Wesen!
Diese <heimatgebende Liebe> ist die Voraussetzung zum freiwilligen Verzicht auf die Rivalität mit den Eltern des gleichen Geschlechts.
Der Weg der <Lösung aus dem Oedipus-Konflikt> kann nur in der Unabhängigkeit verwirklichter Autonomie gegangen werden - nämlich freiwillig.
Und das ist unter Erwachsenen ein in kleinen Schritten möglicher, wenn auch mühsamer Weg, im Erkennen: "Was ich von dir beanspruche, muss ich auch bereit sein, dir zuzulassen."
So sieht "der Oedipus-Komplex" für ein autonomes Selbst anders aus als für ein unterdrücktes, in der Symbiose festgehaltenes, "falsches" Selbst.

Üblich ist - bei der "Erziehung": dem Konditionieren zur Anpassung und Selbstaufgabe - ein chronifizierter dyadischer Konflikt als Basisstörung, der unsere Ängste, unsere feindseligen, "kriegerischen" Impulse und vielfältigen Abwehrmechanismen unterhält, die uns krank machen können.

Trotzdem: Das Begreifen dieser frühen Zusammenhänge in unserer Kindheit zeigt uns den Weg hinaus - aus Zwang, Hass, Angst, Unfrieden und Zerstörung - und viele von uns sind schon bereit und fähig, ihn zu gehen ...

Es gibt unübersehbar auch ein <Macht des Guten>, des Konstruktiven - der Lebensbejahung. Und es ist diese, die unsere Erde bisher vor der Zerstörung bewahrt hat! Denn trotz des früh erlittenen Unrechts - trotz des eigenen Feind-Introjekts - bleibt in jedem Menschen das elementare Bedürfnis nach Eigenständigkeit und Frieden bestehen. Es bleibt (zumindest im Unbewussten) der Wunsch nach Selbstbestimmung und Angstfreiheit bestehen - nach Einvernehmen ohne Unterwerfung, nach Harmonie ohne Selbstaufgabe, nach Einigkeit und Geborgenheit in einer zwanglosen, liebevollen Beziehung zu seinen wichtigsten Nächsten, zu denen, und das ist bereits Gegenwart gewordene Realität, auch ein ehemaliger <Feind> gehören kann.

Die Ansichten Albert Einsteins über Individuum und Frieden - vor über 50 Jahren geäußert - haben hochaktuellen Charakter und sprechen für einen Geist der Menschlichkeit, der seiner Zeit um Generationen voraus war:

"Als das eigentlich Wertvolle im menschlichen Getriebe empfinde ich ... das schöpferische und fühlende Individuum, die Persönlichkeit ..." (S.9)
"Letzten Endes beruht jedes friedliche Zusammenleben der Menschen in erster Linie auf gegenseitigem Vertrauen und erst in zweiter Linie auf Institutionen wie Gericht und Polizei; dies gilt ebenso für Nationen wie für Einzelindividuen ..."
(1934, hrsg. 1984, S. 78)

Die Forderung nach Umdenken und sich umstellen, das "lebenswichtige Postulat" unserer Gegenwart, ist der Paradigmenwechsel im Sinne von <Mitgefühl statt Macht>.

Und Anlass zur Hoffnung ist gegeben in einer Zeit, in der (alte) politische Feinde das Gespräch miteinander suchen - berechtigte Hoffnung auf ein Anwachsen Leben erhaltenden Potentials.
Es sind Erkenntnisprozesse im Gange, aus denen heraus Begegnungen <im Geist der Versöhnungsbereitschaft> möglich werden, die "den Feind" als einen "Menschen wie du und ich" erleben lassen - mit vertrauten Gefühlen, mit der gleichen Furcht vor Zerstörung und der Sehnsucht nach Friedfertigkeit und Freundschaft.

Aus "Erziehung zum Völkermord" Ch. Bassyouni 90/99

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Wenn es möglich wird, in der Gegenwart eines verstehenden, nicht erneut traumatisierenden anderen Menschen über Erlebnisse, Gedanken und Gefühle zu sprechen und die nun aus dem Verdrängten heraus krankmachenden Probleme an unserem eigenen Verhalten und Fühlen zu verstehen, so kann es gelingen - über die Trauer im Bewusstwerden der unverkraftbar gewesenen Erfahrungen mit den Mächtigen unserer Kindheit - den "Sprengstoff unbewussten Hass-Potentials" allmählich zu entschärfen!

"... die Trauer über das einst Geschehene, Irreversible, ist die Voraussetzung dieses Prozesses.

"... Diese Trauer, wenn in der Analyse mit Hilfe der Übertragung und Gegenübertragung erlebt, führt zu einer intrapsychischen, strukturellen Veränderung und nicht nur zu neuen Formen der Interaktion mit gegenwärtigen Partnern ...
(ALICE MILLER, 1980, S. 310)

Den Sinn psychoanalytischer Therapie sehe ich in dieser den Frieden fördernden Entwicklungsmöglichkeit. Sie besteht darüber hinaus in jeder zwischenmenschlichen Beziehung, wenn dass gegenseitige Verständnis im Dialog angestrebt wird.

Christiane Bassyouni (1990)